Ausschließlich positiv verstärken?

„Wir arbeiten ausschließlich über positive Verstärkung“: Das liest man heutzutage auf den Webseiten vieler Hundeschulen. Dieser Satz trifft den Nerv der Zeit, er ist ein Verkaufsargument und lockt die Kunden an. Aber ist es überhaupt möglich, ausschließlich mit positiver Verstärkung zu arbeiten?

Längst vorbei ist die Zeit, in der die Basis der Beziehung zum Hund Befehl und Gehorsam sein soll. Zum Glück wird kaum noch ein Hund ernsthaft geschlagen und man kann auch nicht mehr in jedem Zoogeschäft ein Stachelhalsband kaufen. Unser Hund ist unser Partner, unser Freund, oft genug auch Kindersatz. Wir wollen Vertrauen, Liebe, Verständnis. Freiwillige Mitarbeit statt Zwang und Gewalt.
Manchmal führt dieses Harmoniebedürfnis sogar so weit, dass der Mensch vergisst, seinem Hund auch mal Grenzen zu setzen, oder einfach nicht weiß, wie er das machen soll. Da Hunde aber geführt werden wollen, brauchen sie Grenzen um sich wohl zu fühlen. Finden sie keine Leitfigur, die ihnen die notwendige Sicherheit vermittelt, wird das Zusammenleben für alle Beteiligten schnell anstrengend.

Hast Du Probleme mit Deinem Hund, wirst Du Dich schnell nach einer Hundeschule umsehen, und davon gibt es inzwischen sehr viele, was die Wahl nicht gerade erleichtert. Das „Positive Verstärkung“ die nette Sache ist, bei dem man den Hund für richtiges Verhalten belohnt, das weißt Du ganz sicher. Davon haben die meisten schon gehört. Der Begriff klingt kompetent und das Training freundlich. Aber kann eine Hundeschule dieses Versprechen überhaupt halten?

Ausflug in die Lerntheorie

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Lerntheorie machen. Damit die Sache nicht kompliziert wird, betrachten wir sie nur sehr oberflächlich.
Wir sind hier im Bereich der „operanten Konditionierung“. Was sehr wissenschaftlich klingt, besagt einfach gesagt nur folgendes:

Der Erfolg oder Misserfolg eines Verhaltens bestimmt, ob das Verhalten in Zukunft öfter/stärker oder seltener/schwächer/gar nicht mehr gezeigt wird.


Es gibt vier Begriffe, von denen oft nur einer gebraucht wird:
„Positive Verstärkung“ bedeutet, dass dem Hund etwas zugefügt wird, sich das Ergebnis für ihn lohnt und sein Verhalten deshalb verstärkt wird. Der Hund empfindet dabei Freude. Er zeigt das Verhalten in dieser oder einer ähnlichen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft öfter/stärker/zuverlässiger.

Beispiel:
Gibst Du Deinem Hund Futter, weil er Dein Kommando befolgt hat, hast Du positiv verstärkt.
Du hast ihm etwas zugefügt (Futter), und das Ergebnis findet er toll. Als Bestätigung eignet sich hier alles, solange der Hund es haben will. Außer Futter kommen also zum Beispiel auch Spielzeug oder Zuwendung in Frage.

Es ist eine gute Idee, Deinen Hund mit positiver Verstärkung zu erziehen. Du machst nette Dinge und der Hund freut sich und wird gehorsamer werden.

Achtung: Dein Hund lernt aber auch in anderen Situationen, die es zu vermeiden gilt.
Zum Beispiel:
Hat Dein Hund einen verwesenden Hasen gefunden den er gerne fressen möchte und Du willst ihn mit „Pfui“ davon abhalten, er entscheidet sich aber für den Ungehorsam und frisst den Hasen ohne dass Du das verhindern kannst, wurde sein Ungehorsam positiv verstärkt. Der Ungehorsam hat sich gelohnt. 
Er wird sich also beim nächsten Fund einer (zweifelhaften) Leckerei mit großer Wahrscheinlichkeit wieder für den Ungehorsam entscheiden.

Die anderen drei Begriffe sind die „negative Verstärkung“, „positive Bestrafung“ und „negative Bestrafung“.
Wobei „positiv“ und „negativ“ nur mathematisch zu verstehen ist: Du fügst etwas hinzu oder nimmst etwas weg. „Verstärkung“ oder „Bestrafung“ ist das Ergebnis von dem was Du tust: Der Hund empfindet Deine Reaktion auf sein Verhalten lohnend oder nicht und wird deshalb in einer ähnlichen Situation in Zukunft sein Verhalten eher wiederholen oder vermeiden.

Um diesen Beitrag nicht zu kompliziert zu machen, sehen wir uns nur noch die „negative Bestrafung“ an:
Du nimmst dem Hund etwas weg und das Ergebnis mag er nicht. Negative Bestrafung löst beim Hund natürlich keine Freude, sondern Frust und Enttäuschung aus.
Kennen tust Du die negative Bestrafung bestimmt schon, auch wenn sie selten so genannt wird.
Dir wird zum Beispiel empfohlen, das Spiel mit Deinem Welpen zu beenden, wenn er zu grob wird und Dich beißt. Du entfernst damit Deine Aufmerksamkeit und das Ergebnis findet er nicht gut, weil er keinen Spielpartner mehr hat.
Eine negative Bestrafung liegt auch vor, wenn der Hund eine Belohnung fest erwartet, Du diese Erwartung aber nicht erfüllst.

Denken wir jetzt an die Hundeschule, die „ausschließlich mit positiver Verstärkung“ arbeitet.
Du stehst mit Deinem Hund auf dem Platz der Hundeschule, sagst „sitz“ und er setzt sich. Du gibst ihm Futter und bestätigst ihn damit positiv. Er freut sich über das Futter, wertet sein Verhalten als Erfolg und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er sich das nächste Mal wieder hinsetzen wird.
Würde alles klappen, bräuchtest Du aber keine Hundeschule.
Jetzt hat sich Dein Hund also bereits einige Male gesetzt und dafür Futter bekommen. Er hat nicht nur gelernt, dass es sich lohnt sich zu setzen wenn Du „Sitz“ sagst sondern auch, dass Du gerade sehr spendabel bist. Er erwartet, Futter von Dir zu bekommen, wenn er sich setzt.
Jetzt sagst Du „Platz“, er setzt sich aber wieder hin und macht damit einen Fehler.
Er erwartet Futter von Dir, aber er bekommt nichts.
Du nimmst ihm damit etwas weg (die Erwartung wird nicht erfüllt) und das Ergebnis findet er nicht gut, er erlebt eine Enttäuschung.

Um den Bereich der positiven Verstärkung zu verlassen reicht es also schon aus, einem Hund das Futter nicht zu geben, dass er erwartet hat.

Kann es also eine Hundeschule geben, die ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeitet?
Wohl kaum. Denn dann hätte der Hund auch etwas bekommen müssen, wenn er etwas erwartet, aber etwas falsch gemacht hat. Aber wie soll er dann lernen, was er richtig gemacht hat?

Die Qual der Wahl

Du siehst also, dass es gar nicht möglich ist, Deinen Hund ausschließich mit positiver Verstärkung zu erziehen. 
Aber auch wenn wir mal von diesen Begrifflichkeiten absehen solltest Du Dich fragen, wie sinnvoll es überhaupt wäre, wenn Du Deinen Hund immer nur dann bestätigst, wenn er sich wunschgemäß verhalten hat, sein Fehlverhalten aber zu ignorieren. 
Bedenke: Wenn Dein Hund nur lernt, dass er eine Belohnung erhält wenn er sich wunschgemäß verhält, er aber nur auf seinen Keks verzichten muss, wenn er nicht gehorcht, fällt ihm der Ungehorsam nicht sonderlich schwer, wenn er gerade kein Interesse an Deinem Keks hat. Möchte er lieber zu einem anderen Hund rennen, einen Hasen jagen oder den Jogger anspringen, hat er immer die Wahl: Spaß oder Keks? 
Wie er sich entscheidet, kann ich Dir nicht sagen.
Hast Du eine Belohnung gefunden, die sehr hochwertig ist und die er unbedingt haben möchte, sind die Chancen größer als wenn Du mit dem Futter winkst, dass er eh nachher in seinem Napf finden wird. 
Gehört Dein Hund einer Rasse an, die einen großen „will to please“ hat, also ein großes Bedürfnis Dir zu gefallen, ist Deine Chance größer als wenn Dein Hund eher unabhängig und eigenständig ist.
Hat Dein Hund schon gelernt dass er die Wahl hat wird er eher wählen (und sich gegebenenfalls gegen Deinen Willen entscheiden), als wenn er bisher die Erfahrung gemacht hat, dass er eh gehorchen muss.
Damit Dein Hund gar nicht erst lernt dass er die Wahl hat, solltest Du also nicht nur eine gute Belohnung haben, sondern auch darauf achten, dass Du Deinem Hund in seiner Ausbildungszeit nur dann ein Kommando gibst, wenn Du entweder ganz sicher bist, dass er es befolgen wird (weil er eh gerade nichts Besseres zu tun hat), oder Du den Gehorsam gegen den Willen Deines Hundes durchsetzen kannst (weil er zum Beispiel an der Schleppleine ist und Du ihn zu Dir holen kannst, wenn er nicht freiwillig kommt). 
Dein Hund sollte lernen, dass er nicht die Wahl hat zu gehorchen oder etwas anderes tolles zu machen. 
Er sollte lernen, dass er die Wahl hat mit Belohnung zu gehorchen, oder ohne Belohnung „gehorcht zu werden“.
Hat sich Dein Hund an den Gehorsa gewöhnt, weil sein Ungehorsam keinen Erfolg hat, ist die Chance groß, dass es auch „im Ernstfall“ klappt.

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