Braucht Dein Hund einen Futternapf?

Ein Futternapf gehört doch zur Grundausstattung!
Aber trotzdem haben viele Hunde keinen. Sie werden ausschließlich aus der Hand gefüttert. Wegen der Bindung und dem Gehorsam und weil man seinem Hund zeigen muss, dass man der Chef ist.
Aber funktioniert das wirklich? Ist man weniger Chef, ist die Bindung weniger stark, wenn man seinem Hund einen Napf hinstellt?

Es kommt oft vor, dass ein Hundehalter um Rat bei Erziehungsproblemen fragt. Sein Hund lässt sich nicht abrufen, achtet nicht auf seinen Besitzer oder verteidigt seine Beute.
Als Lösung des Problems wird dann oft geraten, den Futternapf abzuschaffen und den Hund nur noch aus der Hand zu füttern. Natürlich nur zur Belohnung für guten Gehorsam.

Das soll angeblich „die Bindung stärken“ und dem Hund auch „klarmachen, wer der Chef ist“. Auf jeden Fall aber soll der Hund gehorsam werden.
Normalerweise möchten wir mit unseren Beiträgen Wissen vermitteln. Hier schreibe ich Euch jedoch nur meine eigene Meinung. Ich möchte zur Diskussion anregen und würde mich über Deinen Kommentar sehr freuen. Besonders, wenn Du selbst ein Problem mit der Handfütterung gelöst hast. Wie war es für Dich?


Nahrung ist ein Grundbedürfnis

Meine eigenen Hunde haben einen Napf. Ich finde, dass die Grundbedürfnisse meines Hundes von mir bedingungslos erfüllt werden müssen. Dazu gehören neben dem Futter und Wasser auch zum Beispiel Sicherheit, Gesundheit und soziale Zuwendung. Meine Hunde können sich darauf verlassen, dass diese Bedürfnisse bedingungslos erfüllt werden, einfach weil mein Hund mein Freund ist und ich ihn liebe.
Natürlich bekommen auch meine Hunde Futter zur Belohnung, wenn ich ihnen etwas beibringe und wenn ein Hund tagsüber mal viel Futter nebenbei bekommen hat, kürze ich auch mal seine Abendmahlzeit. Aber das hat nichts mit seiner Grundversorgung zu tun.
Allerdings bin ich von Natur aus ein sehr konsequenter Mensch, ich bin selbstbewusst und habe kein Problem mit meinen Hunden, für das ich eine Lösungsstrategie bräuchte.


Was ist Bindung?

Als ich die Idee hatte, über dieses Thema zu schreiben, habe ich mich zuerst gefragt, ob die Bindung überhaupt gestärkt werden kann, wenn man aus der Hand füttert. Was ist „Bindung“ überhaupt?
Bindung bezeichnet laut Wikipedia eine besondere soziale Beziehung zwischen Hund und Mensch. Sie bezeichnet das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit und die daraus entstehende emotionale Beziehung zwischen Hund und Mensch. Weniger Wissenschaftlich ausgedrückt ist Bindung die Liebe, die Vertrautheit und das gegenseitige Verstehen zwischen mir und meinem Hund.
Um eine gute Bindung zu haben, muss der Hund mir weder aufs Wort gehorchen, mir jederzeit überall hin folgen wollen, noch müssen wir in allen Punkten einer Meinung sein.


Bindung durch Handfütterung?

Ich glaube nicht, dass die Fütterung aus der Hand bei einem normalen Hund einen Einfluss auf die Bindung nach obiger Definition hat. Natürlich wird Dein Hund Dich besser beobachten und mehr in Deiner Nähe bleiben wenn er gemerkt hat, dass Du seine einzige Futterquelle bist. Er will ja nicht verhungern.
Vielleicht sieht er Dich nun auch als Futterautomaten, aber an seiner emotionalen Bindung wird sich meiner Meinung nach nur wegen einer Fütterung aus der Hand nichts ändern.

Hast Du auch einen „Entensee“ in Deiner Nähe?
Ein Gewässer in dem Enten leben, die gerne von den Leuten mit Brot gefüttert werden? Die Enten, die gelernt haben, dass die Menschen sie gern füttern, kommen auf der Stelle laut schnatternd zu jedem, der mit einer Tüte raschelt. Aber eine Bindung haben sie sicherlich nicht aufgebaut.

In bestimmten Situationen kann die Handfütterung aber sicherlich der „Türöffner“ sein, der den Aufbau einer Bindung erst ermöglicht.
Hast Du einen scheuen Hund aus dem Tierschutz, kannst Du den Mut Deines Hundes sich Dir zu nähern, mit Futter belohnen. Dein Hund, der nicht weiß was er von Dir halten soll oder vielleicht sogar Angst vor Dir hat, macht so immer wieder positive Erfahrungen wenn er sich Dir nähert und/oder Deine Nähe zulässt und wird seine Scheu leichter ablegen und in Folge dessen besser eine Bindung zu Dir aufbauen können.


Wer ist der Chef?

Dein Hund möchte geführt werden. Sein Chef soll souverän, selbstbewusst und berechenbar sein. Er soll wissen, wie man kritische Situationen meistert und Gefahren abwendet.
Er stellt Regeln und Grenzen für den Hund auf, innerhalb derer er sich bewegen soll und setzt sie durch, wenn der Hund ihre Gültigkeit austestet. „Chef“ ist nicht derjenige, der einem Hund die meisten Kommandos gibt sondern derjenige, der die meiste Führungskompetenz besitzt.
Findet Dein Hund in Dir so eine Führungsperson, schließt er sich Dir gerne an und Du bist sein Chef.

Welche Regeln Du aufstellst, ist vollkommen egal, solange der Hund sie erkennt. Der eine Hund darf nicht auf das Sofa, ein anderer schläft sogar im Bett, darf dafür aber die Küche nicht betreten. Oder auf der Treppe nicht überholen oder er muss in seinem Körbchen warten wenn es an der Tür klingelt. Theoretisch kannst Du Chef sein, ohne dass Dein Hund ein einziges Kommando wie „sitz“, „platz“ oder „komm“ kennt.

Findet Dein Hund keine Grenzen (oder setzt Du sie nicht konsequent genug durch), bist Du unsicher und zweifelst andauernd schon an Dir selbst, hat Dein Hund nicht das Gefühl, dass Du für die Sicherheit Eurer Gruppe sorgen kannst oder findet er in Dir aus anderen Gründen keine Führungskompetenz, fühlt er sich nicht wohl. Er versucht zuerst, diese Grenzen irgendwo doch noch zu finden. Vielleicht verteidigt er seine Beute gegen Dich, knurrt Dich an wenn Du auf das Sofa willst oder schnappt nach Dir, wenn Du ihn anfassen möchtest.
Irgendwann musst Du doch reagieren? Wie stark er über die Stränge schlägt um eine Grenze zu finden, ist sehr unterschiedlich. Doch findet er keinen Halt, muss er irgendwann selbst das Ruder übernehmen, obwohl sich die meisten Hunde nie eine „Chefrolle“ gewünscht haben.


„Chef“ durch Handfütterung?

Derjenige, der das Sagen hat, darf auch die Ressourcen verwalten, die ihm wichtig sind. Welche das sind, ist individuell sehr unterschiedlich. Ich hatte zum Beispiel eine Hündin, die rangniedrigeren Hunden sogar ihr Futter überlassen hätte, aber an warmen Tagen, nach langen Spaziergängen oder wann auch immer alle Hunde durstig waren, den Zugang zum Wassernapf geregelt hat.
Du kannst Deinem Hund den ganzen Tag lang Futter zur freien Verfügung stellen, ohne Deine Führungsrolle zu gefährden – dafür darf Dein Hund vielleicht nicht in Deinem Bett schlafen oder bestimmen, wo ihr spazieren geht.
Wenn Du merkst, dass Dein Hund in Dir nicht seine Leitfigur erkennt, solltest Du überprüfen, ob Du Regeln hast und Ressourcen verwaltest.
In diesem Fall kannst Du natürlich damit anfangen aus der Hand zu füttern. Das Futter verwalten tust Du aber schon, wenn es nicht den ganzen Tag lang herumsteht, sondern Du nur zwei mal am Tag fütterst. Fehlen Dir grundlegende Führungsqualitäten, wird die Handfütterung daran auch nichts ändern. Durch das Füttern aus der Hand wirst Du also nicht automatisch zum Chef Deines Hundes.
Ich habe übrigens Hunde kennen gelernt, die sich ihren Besitzer erfolgreich zum Futterautomaten degradiert haben. Während der Mensch dachte, seinen Hund für den Gehorsam zu belohnen, hat der Hund je nach belieben dafür gesorgt, dass der Mensch ein Kommando gibt und füttert.

Inzwischen hast Du wahrscheinlich den Eindruck, dass ich gegen die Handfütterung bin. Das stimmt aber ganz und gar nicht, denn die Sache funktioniert sehr gut! Meiner Meinung nach zwar etwas anders als viele glauben, aber da das Ergebnis zählt ist das egal.
Fakt ist, dass die Handfütterung etwas macht. Zwar nicht mit dem Hund, aber mit dem Besitzer!


Wundermittel Handfütterung

Wenn Du Dich dazu entscheidest, Dein Problem in den sozialen Medien zu posten, bist Du wahrscheinlich schon recht verzweifelt. Du bist unsicher und nur noch genervt von Deinem Hund.
Denn der nimmt Dich überhaupt nicht ernst, lässt sich nicht abrufen, befolgt auch keine anderen Kommandos, beißt in die Leine, zwickt Dir in die Beine oder bellt andere Hunde an. Es ist ein ständiger Spießrutenlauf und Du bemühst Dich inzwischen nach Kräften nur noch, unangenehme Situationen zu vermeiden. Beim Spaziergang scannst Du die Umgebung ab und wenn Du einen anderen Hund siehst, wechselst Du mindestens die Straßenseite, wenn Du keinen anderen Weg nehmen kannst, Kommandos gibst Du Deinem Hund nicht mehr, das hast Du inzwischen aufgegeben und Deine Kinder spielen lieber nur noch in ihren Zimmern.
Egal, wie viele Punkte hiervon auf Dich zutreffen, eines steht fest: Von der Beschreibung eines „Chefs“ bist Du weit entfernt und tiefe Zuneigung und Sicherheit, also Bindung, empfindest vielleicht weder Du noch Dein Hund.

Aber jetzt wird alles anders, denn Du hast einen Plan!
Auf Facebook hat man Dir geraten, Deinen Hund nur noch aus der Hand zu füttern, als Belohnung für geleistete Arbeit, denn das stärkt die Bindung und macht Dich zum Chef!
Du misst also morgens Deinem Hund das Futter ab und steckst es Dir in die Tasche. Der verwirrte Blick Deines Hundes, der auf sein Futter wartet, verschafft Dir schon mal so etwas wie eine kurze Genugtuung.
Und ab jetzt geht es los.
Du gehst ins Wohnzimmer und versuchst es gleich mal mit einem „komm!“ und tatsächlich kommt Dein Hund angetrottet. Er hat gehorcht! Ein Punkt für Dich. Und ein Bröckchen Futter für Deinen Hund.
Du drehst Deine erste Gassirunde, bleibst stehen und versuchst mal ein „Sitz“. Eigentlich hat Dein Hund keine Lust dazu, aber er riecht das Futter in Deiner Tasche und setzt sich. Er hat gehorcht! Ein Punkt für Dich und ein Bröckchen für Deinen Hund. Mit jedem Punkt für Dich, wächst Dein Selbstbewusstsein.
Du siehst einen anderen Hund. Du nimmst dieses Mal keinen anderen Weg und gehst einfach weiter. Du sagst Deinem Hund, dass er bei Dir laufen soll. Dein Hund gehorcht nicht, zieht an der Leine und bellt.
„Selber Schuld!“ denkst Du, „bekommst Du eben nichts.“ Kein Bröckchen für den Hund, aber etwas Genugtuung für Dich, denn obwohl es Deinem Hund im Moment egal ist, fühlt es sich für Dich so an, als hättest Du ihn bestraft, weil Du ihm das Futter nicht gegeben hast, das er hätte haben können, wenn er leise geblieben wäre.

Um Deinen Hund satt zu bekommen, musst Du ihm, je nach Futtermenge, jede Menge Kommandos geben, schließlich muss er genug Möglichkeiten erhalten, sich sein Futter zu verdienen.

Und das hat gravierende Folgen:
Du bist dazu gezwungen, Dich mit Deinem Hund zu beschäftigen und kannst ihm nicht mehr aus dem Weg gehen.
So wirst Du interessanter für Deinen Hund.
Du gibst Deinem Hund Kommandos und bringst ihm vielleicht neue bei.
So übt Ihr an Eurer Kommunikation und versteht Euch besser.
Dein Selbstbewusstsein wächst mit jedem Erfolgserlebnis, Rückschläge nimmst Du hoffentlich leichter hin (mit einem Gefühl von „selber Schuld, bekommst Du eben kein Futter“).
So wirst Du souveräner und gelassener.
Du bekommst an vielen kleinen Erfolgserlebnissen das Gefühl, wieder „Chef“ zu sein, schließlich hat man Dir ja auch gesagt, dass Du „Chef wirst“, wenn Du aus der Hand fütterst. Und ein Chef darf auch mal seine Meinung sagen! Du setzt Grenzen und fängst an, sie durchzusetzen. Und ja, Du hast Deinem Hund sogar kurz angeschnauzt, als er Dein Kind umgerannt hat! Das würdest Du natürlich nie auf Facebook schreiben. Aber es hat gewirkt!
So wirst Du konsequenter.


Fazit:

Ich glaube, dass die Handfütterung in erster Linie nichts mit Deinem Hund macht, aber mit Dir. Du startest mit dem Vorhaben, dein Problem (welches es auch immer sein mag) jetzt endlich anzugehen und Du hast einen Plan, wie Du das machen möchtest. Alleine das verändert Dein Auftreten gegenüber Deinem Hund. Der Zwang, Dich mit Deinem Hund zu beschäftigen, tut sein Übriges.

Dein Hund nimmt Deine Verwandlung natürlich wahr. Du hast auf einmal eine Meinung! Du gehst viel selbstbewusster mit ihm um und beweist Führungsqualitäten! Du entwickelst Dich zu jemandem, dem man sich anschließen kann. Grenzen müssen nicht mehr gesucht werden, sie sind da. Ihr geht nicht mehr nebeneinander spazieren, jeder in seine Welt vertieft, sondern miteinander. Ihr findet zueinander und baut eine Bindung auf und/oder könnt sie jetzt vertiefen.
Das alles hättest Du auch ohne Handfütterung geschafft, aber als Lösungsstrategie ist sie sicherlich nicht schlecht.

Und wenn Du und Dein Hund ein Team geworden seid, kannst Du den Napf ja wieder aus dem Keller holen.



Das Bild zu diesem Beitrag stammt von Foto von Blue Bird von Pexels

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